LEIPZIG – Ob Marco Polo auf seinen Reisen einen Zahnarzt in Anspruch nehmen musste, ist nicht überliefert. Käme er jedoch heute nach China, hätte er kein Problem einen Spezialisten für Zahnprobleme aufzutreiben.
Seit Einführung der chinesischen Marktreformen Ende der 70er Jahre floriert die Zahnmedizin in dem Land, in dem nur jeder zweite Einwohner eine Zahnbürste besitzt. Nach Angaben der Millenium Research Group, einem Marktforschungsunternehmen in Kanada, wächst vor allem der Implantatmarkt in China derzeit jährlich um mehr als 30 Prozent.
Für den ärztlichen Direktor des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universitätsklinik in Tübingen Prof. Dr. Heiner Weber sind diese Entwicklungen nicht neu. Seit Mitte der 80er Jahre sind im Institut des 60-jährigen regelmäßig Zahnärzte, Zahntechniker und Wissenschaftler aus asiatischen Ländern zu Gast. Neben Chinesen sind es dabei vor allem Koreaner und Japaner, die sich über universitären Austausch deutsches Wissen aneignen und die Grundlagen der Implantologie in ihre Länder exportieren.
Dort hat sich dieser Zweig der Zahnmedizin in den vergangenen Jahren dramatisch entwickelt. Denn nehmen in Deutschland gerade mal zehn Prozent der Zahnärzteschaft implantologische Eingriffe vor, so sind es in Südkorea schon über zwei Drittel. In anderen Ländern ist die Situation vergleichbar. Am implantologischen Institut der Pekinger Klinik für Zahnheilkunde in China werden laut Angaben des klinischen Direktors Prof. Dr. Ye Lin pro Jahr inzwischen an die 2.000 bis 3.000 Implantate gesetzt. Das Know-How dafür stammt weitgehend aus Deutschland.
Die neuesten Ergebnisse seiner Arbeit und die anderer asiatischer Kollegen wurde Ende September auf einer gemeinsamen Tagung in Tübingen diskutiert. Neben Lin nahmen 180 ehemalige Tübinger Kollegen sowie weitere Experten aus China, Japan und Korea an dem Symposium „Modern/Advanced State-of-the-Art Dentistry Including Implantology – An Asian/European View“ teil. Diskutiert wurden unter anderem interdisziplinäre Ansätze in der Implantologiebehandlung, wie sie an chinesischen und koreanischen Kliniken inzwischen erfolgreich praktiziert wird, sowie die Nutzung der Drahtfunkenerosion. Prof. Dr. Takashi Miyazaki von der Showa Universität in Japan legte unter anderem neue Ergebnisse vor, wie die Technik zur Oberflächenbehandlung von Titanimplantaten und damit zur Erhöhung der Biokompatibilität eingesetzt werden kann. Drahtfunkenerosion wird bereits seit einiger Zeit im Maschinenbau und anderen Industrien zur Trennung von Werkstoffen eingesetzt. Fast ebenso lang wird über eine Nutzung in der Zahlheilkunde nachgedacht.
Obwohl einige der im Symposium vorgestellten Ansätze kritisch zu hinterfragen sind, hält Weber eine Betrachtung der klinischen Ergebnisse für sinnvoll. So könne man aufgrund der in Asien rasch ansteigenden Anzahl von Implantationen wertvolle Ergebnisse für das Weichgewebemanagement innerhalb der westlichen Zahnmedizin gewinnen. Demnächst wird ein Mitarbeiter der Tübinger Klinik für mehrere Monate nach Peking reisen, um sich die neuesten Ergebnisse von Lin’s Team anzusehen und weiter zu erforschen. „Eins ist sicher, die Asiaten sind im kommen“, so Weber.
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