Patient erhält Zahnimplantat unter Selbsthypnose

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Patient erhält Zahnimplantat unter Selbsthypnose: „Es war leicht, den Schmerz abzuschalten“

Dr. Nico Lindemann (links) operiert Tomas Schröck (Mitte), der sich in Selbsthypnose befindet. © Tomas Schröck
Franziska Beier, Dental Tribune International

Franziska Beier, Dental Tribune International

Mo. 20. September 2021

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LEIPZIG – Körperlich in einer Zahnarztpraxis liegend, mental barfuß durch einen Bergfluss laufend – auf diese Weise wurde einem Patienten unter Selbsthypnose erfolgreich ein dentales Implantat ohne jegliche Anästhesie gesetzt. Der Patient, der solch einen Eingriff zum ersten Mal unter diesen Bedingungen erlebt hat, ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis und beschreibt, dass er während des Eingriffs kaum Schmerzen hatte.

Alles begann in der Implantatsprechstunde von Dr. Nico Lindemann, Mitinhaber der Zahnarztpraxis Dr. Lindemann, Kurtz-Hoffmann und Kollegen in Leipzig. Sein Patient Tomas Schröck, ein Hypnosetherapeut mit eigener Praxis in Leipzig, fragte ihn, ob er bereit wäre, ihn in einem Selbstversuch – einer Implantat-OP unter Selbsthypnose und ohne jegliche Schmerzmittel – zu unterstützen. „Da ich mich früher schon mit Hypnose beschäftigt hatte, ich ihm jedoch aufgrund des Wunsches der Selbsthypnose die Fäden der Schmerzausschaltung in die Hand geben musste, schlugen anfänglich zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits war ich positiv gestimmt, dass das gelingen kann, andererseits stellte ich mir die Frage, ob ich ihm so vertrauen kann, dass der Eingriff bis zum Ende in der geplanten Qualität durchgeführt werden kann,“ erzählte Lindemann Dental Tribune International.

Auf die Frage nach seiner Motivation für das Selbstexperiment, nannte Schröck zwei wesentliche Punkte. Zum einen will er gern zur Aufklärung beitragen und zeigen, was mit seriöser Hypnose alles möglich ist. Vor allem für Menschen, die Angst vor Zahnbehandlungen haben oder Arzneimittelunverträglichkeiten aufweisen, kann Selbsthypnose eine sehr hilfreiche Methode sein, um angstfrei und ohne große Schmerzen behandelt zu werden. Zum anderen war der Hypnosetherapeut neugierig und wollte selbst ausprobieren, was er seinen Patientinnen und Patienten seit Jahren beibringt.

„Bei der Selbsthypnose übernimmt man beide Positionen. Man ist Hypnotiseur und Hypnotisant in einer Person und gibt sich selbst entsprechende Impulse. Im ersten Moment scheint das widersprüchlich zu sein. Versteht man jedoch, wie Hypnose funktioniert, wird es klarer,“ erklärte Schröck. Es wird heute davon ausgegangen, dass jeder Mensch mehrfach am Tag, oft ohne es zu merken, Trancezustände erlebt. Als Beispiel nennt Schröck eintönige Autofahrten, bei denen der Geist in alltägliche Gedanken abdriftet und die Fahrt somit schnell verfliegt. Gleiches gilt für Hobbys, bei denen die Zeit wie im Flug vergeht. Diese Momente, in denen vieles automatisch über das Unterbewusstsein abläuft, sind Alltagstrancen. Für die Selbsthypnose kann man sich diese Fähigkeit zu Nutze machen. Individuell ausgesuchte Erinnerungen oder Bilder werden solange trainiert, bis sie weitestgehend automatisch funktionieren und nur noch wenige Impulse vom Bewusstsein notwendig sind.

Schröck selbst wählte für seinen Eingriff eine Erinnerung daran, wie er barfuß durch einen eiskalten Bergsee lief. „Ich habe mir diese Erinnerung aus zwei Gründen ausgewählt. Zum einen sind die Füße körperlich am weitesten vom Mund und damit vom Ort des operativen Geschehens entfernt, zum anderen ist mit dieser Erinnerung ein starkes Gefühl der Euphorie verbunden. Euphorie und Angst bzw. negativer Schmerz schließen sich in meiner Welt eher aus,“ erklärte er.

Er fügte hinzu: „Die Kunst in der Selbsthypnose besteht darin, sich auf der einen Ebene bewusst selbst zu regulieren, um auf der anderen Ebene unbewusste Erfahrungen zu machen. Das bedeutet, man ist in Selbsthypnose nicht ausgeschaltet oder gänzlich passiv. Sobald ich zu bewusst mitbekam, was in meinem Mund passierte, lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder mehr auf meinen Ressource-Ort im Bergbach.“ Schmerzen verspürte Schröck während der Operation zum Großteil lediglich stark abgemildert.

Blutungsverhalten und Handsignale im Auge behalten

„Im Vorfeld bestand schon eine leichte Nervosität im Team,“ sagte Lindemann. Alle Eventualitäten während des Eingriffs – zum Beispiel was wäre, wenn der Patient doch starke Schmerzen empfindet – wurden vorher durch das zahnmedizinische Team geklärt, sodass die Aufregung nach Beginn der Operation schnell verflog. Auf die Frage, inwiefern das Team den Patienten während des Eingriffs unterstützt hat, antwortete Lindemann: „Wir haben ein sehr ruhiges und unaufgeregtes Umfeld gestaltet. Außerdem haben wir uns auf Signale verständigt, die uns der Patient geben sollte, falls er Schmerzen verspürt und er eine Pause benötigt, um sich wieder in einen ausreichend tiefen Hypnosezustand zu versetzen.“

Während des Einsetzens eines Einzelimplantates mit kleiner knöcherner Augmentation im offenen Verfahren im Unterkiefer mit anschließendem Nahtverschluss, musste das zahnmedizinische Team insbesondere auf das Blutungsverhalten achten, welches anders als unter Vasokonstriktion ist.

Eine Frage des Vertrauens

Obwohl der Hypnosetherapeut überzeugt war, dass sein Selbstexperiment gelingen würde, mischten sich auch ein paar kleine Zweifel in seine Überlegungen. Im Vorfeld stellte er sich die Frage, ob er es wirklich schaffen würde, sich die ganze Zeit über zu konzentrieren. „Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Im Nachhinein war ich sogar etwas überrascht, wie schnell es ging und wie einfach es war, den Schmerz abzuschalten,“ erklärte Schröck.

Lediglich die Kontrolle der Blutung, damit sie geringer ist als man es ohne Anästhesie erwarten würde, gelang ihm nicht. „Es gibt genügend Studien und Fallvignetten in denen Ähnliches belegt wurde. Leider vergaß ich im Eifer des Geschehens, mich auch darauf zu konzentrieren.“ Dies wird er jedoch in der nachfolgenden Operation, bei der die Abdeckschraube entfernt wird, nachholen.

Laut Lindemann war es durch das gegenseitige Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und dem Team möglich, sich vollkommen auf die Operation zu konzentrieren. Er schloss: „Ich bin dankbar für mein großartiges Team und auch das Vertrauen, dass mir unser Patient entgegengebracht hat.“

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