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Interview: Man kennt die Schäden, die das orale Mikrobiom anrichten kann, aber weniger die Nutzen.

In seiner Rolle als Enzymspezialist war der Schweizer Molekularbiologe Dr. Michel-Angelo Sciotti für die Entwicklung von CURAPROX' enzymatischer [BE YOU.]-Zahnpasta zuständig. (Foto: Michel-Angelo Sciotti)
Kasper Mussche, DTI

Kasper Mussche, DTI

Di. 21. August 2018

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Eine gesunde Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft in unserem Mund ist der Schlüssel zu einer guten Gesundheit. Der Schweizer Molekularbiologe Dr. Michel-Angelo Sciotti ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Nordwestschweiz tätig und arbeitet immer häufiger als Enzymspezialist an der Entwicklung innovativer Produkte für die Mundhygiene. Sein letztes Werk? CURAPROX [BE YOU.].

Dr. Sciotti, wie würden Sie den Begriff orales Mikrobiomumgangssprachlich erklären?
Das Mikrobiom ist die Gesamtheit der Mikroorganismen, die ein Individuum, meistens einen Menschen oder ein Tier, besiedeln. Diese Mikroorganismen nisten auf der Hautoberfläche in den verschiedenen Kavitäten, natürlich in der Mundhöhle, aber hauptsächlich auch im Darm. Früher sprach man von einer Mikroflora. Mikrobiom erweitert diesen Begriff: Wenn die Flora der mikrobiellen Bevölkerung in Art und Menge entspricht, entspricht das Mikrobiom der ganzen Gesellschaft der Mikroorganismen mit ihren Aktivitäten, Vernetzungen und Strategien.

Das orale Mikrobiom umfasst mehr als 700 verschiedene Bakterienarten, die die Zähne und die Mundschleimhaut bedecken. Idealerweise befindet sich dieses in einem Zustand des Gleichgewichts – einer Symbiose–, der unseren Mund vor der Überverbreitung krankheitsfördernder Bakterien schützt.Es betrifft also auch die Interaktionen zwischen den verschiedenen Bakterien, sogar auf genetischer Ebene, und natürlich den Bezug zum Wirt.

Warum ist ein ausgewogenes orales Mikrobiom wichtig?
Unsere Gesundheit kann davon abhängen. Im Fall der Darmflora mehren sich sowohl Hinweise als auch  Beweise, dass das Mikrobiom dort eine wichtige Rolle spielt. Gerät das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht, können Pathologien beim Wirt entstehen. Diese sollen von einem Mangel an Vitaminen oder Unverträglichkeiten bis hin zum Darmkrebs oder auch anderen Formen von Krebs reichen. Wie erheblich der Beitrag des oralen Mikrobioms zu unserer Gesundheit ist, lässt sich bis jetzt noch nicht genau einschätzen. Man kennt die Schäden, die es anrichten kann – zum Beispiel Karies oder Parodontitis –, aber weniger die Vorteile, die es birgt.

Was könnte eine Bedrohung für ein gesundes orales Mikrobiom darstellen?
Die Einnahme von fermentierbaren Zuckern, Rauchen, Stress, der häufige Einsatz von Antibiotika und an-timikrobiellen Mitteln oder physiologische Veränderungen wie eine Schwangerschaft können zu einem Ungleichgewicht, einer Dysbiose, führen, was wiederum zu Erkrankungen wie Karies, Gingivitis und Parodontitis führen kann.

Zusätzlich: wir selbst mit unserem Drang nach Hygiene und zur Asepsis. Man kennt es besonders gut aus dem Intimbereich. Werden zu oft starke antibakterielle Mittel benutzt, gerät das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht. Das bekannteste Übel, das daraus entstehen kann, sind Infektionen durch opportunistische Bakterien, eventuelle Pathogene, die sich im Fall eines gesunden Mikrobioms nicht durchsetzen würden. Aus biologischer Sicht ist es durchaus denkbar, dass zum Beispiel Kandidose, verursacht durch eine opportunistische Hefe, eine Infektion der Mundhöhle fördern würde, wenn bestimmte Hygieneprodukte eingesetzt werden.

Was war Ihre Rolle bei der Entwicklung von CURAPROX [BE YOU.]?
Ich habe an der Fachhochschule Nordwestschweiz das Enzymsystem der [BE YOU.] entwickelt – im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Curaden AG und dem Zentrum für Zahnmedizin der Universität Zürich, unterstützt von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI). Vereinfacht: Ich habe das bestehende Enzycal-Zahnpasta-System studiert und daraus ein leistungsfähigeres System entworfen. Die Fachhochschule hat die Prototypen für die präklinischen und klinischen Studien hergestellt; wir haben die Produktion begleitet.

Wie tragen die Enzyme und Proteine ​​in enzymhaltigen Zahnpasten zu einer optimalen Mundgesundheit  bei?
Meistens werden Enzymzahnpasten Verdauungsenzyme hinzugefügt, zum Beispiel Amylase oder Protease. Mir ist nicht ganz klar, was damit erreicht werden soll. Wahrscheinlich soll der nichtbakterielle Teil des Zahnbelags geschwächt werden. Unser Enzymsystem macht etwas anderes. Es wirkt nicht direkt. Es produziert an Ort und Stelle aktive, aber unstabile Wirkstoffe – Wasserstoffperoxid zum Beispiel –, die man als solche, aus Stabilitätsgründen, nicht direkt in der Zahnpasta formulieren kann, weil sie in kürzester Zeit zerfallen. Würde man Wasserstoff in der Zahnpasta formulieren wollen, müsste die Tube bei 4 °C gelagert werden.

Was können wir selbst tun, um unsere Mundflora im Gleichgewicht zu halten?
Oh, da antworte ich Ihnen das, was mir mein Zahnarzt und meine Mutter immer gesagt haben. Sie wissen schon … weniger Zucker, nach dem Essen die Zähne putzen … mit [BE YOU.]. Okay, damals gab es die [BE YOU.] nicht. Aber hätte es sie gegeben, hätte meine Mutter sie gekauft.

Welche Rolle spielt Lactoperoxidase in enzymatischen Zahnpasten?
Dieses Thema ist eher die Sache der Odontologen. Die Lactoperoxidase ist im Speichel vorhanden. Sie dient als Schutzmechanismus und, nach meiner Meinung als Biologe, schützt sie das orale Mikrobiom, also unsere Mitesser, gegen fremde Organismen. Sie schützt die „guten“ Bakterien vor den  „bösen“. Mit den „bösen“ meine ich die fremden Mikroorganismen, die geneigt wären, im Fall eines unausbalancierten oralen Mikrobioms die Mundhöhle zu besiedeln und mit dem Mikrobiom in einen Wettbewerb zu treten.

Nun, Karies und Parodontose werden nicht von fremden Mikroorganismen verursacht, sondern von Mitesserarten aus dem Mikrobiom (u.a. Streptokokken und Porphyromonas). Unsere Ernährung oder mangelnde Mundhygiene machen aus ihnen die „Bösen“, und die sind wie die anderen Mitesser gegen die Schutzmechanismen des Mundes zum Teil immun. Unsere mikrobiologischen Versuche deuten jedenfalls darauf hin. Um sicherzustellen, dass auch diese Mitesser und ihre negative Wirkung unterdrückt werden, setzen wir auf breitbandige antibakterielle Wirkstoffe. Wasserstoffperoxid ist einer davon.

Was ist die Rolle der Glucose-Oxidase?
Die Glucose-Oxidase liefert das Wasserstoffperoxid. Eigentlich tun das die Zellen unserer Schleimhaut auch, aber in viel geringeren Mengen. Also verursacht die Zahnpasta eine deutliche Erhöhung der Wasserstoffperoxid-Konzentration – jedoch nie über 0,1 Prozent. Gebleicht wird nicht! Das Wasserstoffperoxid fördert einerseits den Beitrag der Lactoperoxidase im Speichel, die für ihre Aktivität auf Wasserstoffperoxid angewiesen ist. Aber zusätzlich wirkt das Wasserstoffperoxid auch direkt antimikrobiell. Es wirkt also auch auf das Mikrobiom, so wie eigentlich auch das Bürsten. Und so soll es sein, denn auch wenn man dem Mikrobiom gern positive Eigenschaften zuschreibt, unsere reichhaltige Nahrung fördert sein Wachstum über das Gleichgewicht und die oben erwähnten negativen Eigenschaften. Das Gleiche gilt eigentlich für das Mikrobiom der Haut. Sie braucht es, aber wächst es zu sehr, dann wird es unangenehm. Im Fall der Haut gilt das insbesondere für den Geruchssinn. Deswegen benutzen wir Seife unter der Dusche. Und im Fall des oralen Mikrobioms die Bürste, das Wasserstoffperoxid und zwei andere Wirkstoffe, die in der [BE YOU.] mitformuliert sind.

Was war die größte Herausforderung bei der Entwicklung von [BE YOU.]?
Die größte Herausforderung war, das System so einzustellen, dass es in den ersten Sekunden des Bürstens aktiv wird – noch nicht während der Produktion, auch nicht in der Tube und sicher auch nicht erst fünf Minuten nach der Anwendung, wenn die Paste ausgespült wurde. Das nennt man Kinetik. Die Glucose-Oxidase wird nämlich durch Sauerstoff aktiviert. Ohne ihn bleibt die Glucose-Oxidase inaktiv. Deswegen achten wir darauf, dass der Sauerstoff der Zahnpasta während der Produktion entzogen wird. In diesem Zustand muss das System monate- und jahrelang in der Tube ruhen. Das so stabil hinzubekommen, war eine sehr schwierige Angelegenheit.

Ist Ihnen aus der Zeit der [BE YOU.]-Entwicklung irgendetwas besonders in Erinnerung geblieben?
Es gab viele lustige Momente. Was soll ich erzählen? Zu Entwicklungszwecken hatte ich bei einigen Prototypen ein zusätzliches Enzym eingebaut, eine Peroxidase eigentlich, welches in Kontakt mit Wasserstoffperoxid eine Farbreaktion auslöste –  nämlich ein schönes Smaragdgrün. Somit konnte man visuell verfolgen, wann und wo die Glucose-Oxidase in der Zahnpasta aktiv wurde. Dieser Trick begeisterte einige Kollegen bei Curaden so sehr, dass sie es in das Produkt einbauen wollten, damit die Kunden die Aktivität wahrnehmen können. Eine geniale Idee, nur dass bei der Färbung das Wasserstoffperoxid verbraucht wird und somit seinen eigentlich vorgesehenen Zweck nicht mehr erfüllt. Naja … Wenigstens dürften Enzymologen bei der Geschichte schmunzeln.

Ist die Entwicklung der [BE YOU.]-Zahnpasta Teil eines allgemeinen Mundpflegetrends, bei dem Bakteriostasis Bakterizid ersetzt?
Ja, sicherlich. Idealerweise würde ein Mundhygieneprodukt, unabhängig von der Ernährungsweise, ein dauerhaftes mikrobielles Gleichgewicht sichern, das uns mit minimalem Aufwand vor allen Übeln schützt. Dabei würde sich das Mikrobiom dann auch selbst in Art und Menge regulieren. Doch ehe dieses vollkommene Wunschbild einer sich selbst erhaltenden Bakteriostase Wirklichkeit geworden ist und Produkte dieser Art eine integrativen ganzheitliche Lösung darstellen, werden wir weiter einen Teil zur undifferenzierten Reduzierung des mikrobiellen Bestandes beitragen müssen, indem wir die überschüssige Flora mechanisch entfernen oder eben bakterizid behandeln. Ähnlich wie Rasen, der regelmäßig gemäht werden muss, wachsen Bakterien immer wieder nach. Um das Unkraut zu entfernen, aber nicht den Rasen an sich zu beschädigen, darf man auch nicht zu viel abmähen. Diesen Effekt wünscht man sich auch für die Zahnpasta und das Mikrobiom.

Zu guter Letzt: Haben Sie ein Lieblings-[BE YOU.]-Aroma?
Nein. Ich mag sie alle, weil sie alle gut riechen … und weil alle anders riechen als die Zahnpasta Enzycal, mit der ich mich jahrelang kiloweise beschäftigt habe.

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