DT News - Germany - Interview: „Diese Kombination von Nachhaltigkeit und Zahnpflege gab es so bisher nicht am Markt“

Search Dental Tribune

Interview: „Diese Kombination von Nachhaltigkeit und Zahnpflege gab es so bisher nicht am Markt“

Die zwei Münchner Produktdesigner Fabian Ghoshal (links) und Benjamin Beck (rechts) entwickelten TIO, eine nachhaltige und umweltfreundliche Zahnbürste. © TIO Care
Anne Faulmann, DTI

Anne Faulmann, DTI

Mo. 1. Juni 2015

Speichern

MÜNCHEN – Zähneputzen ist wesentlicher Teil der täglichen Zahnpflege und doch machen sich die meisten von uns nicht allzu viele Gedanken über das Gerät, das dabei zum Einsatz kommt oder dessen Lebenszyklus. Wie vom Zahnarzt empfohlen werden die meisten Zahnbürsten nach zwei bis drei Monaten ausgetauscht. Dies führt zu einer großen Menge Abfall, der allerdings nicht recycelbar ist. Zahnbürsten und ihre Verpackungen produzieren jedes Jahr allein in Deutschland 5.700 Tonnen auf fossilen Brennstoffen basierenden Plastikmüll. Der Umweltschaden, der dadurch entsteht, ist immens. Aus diesem Grund entwickelten zwei junge Produktdesigner aus München TIO, eine nachhaltige, umweltfreundliche Zahnbürste, bestehend aus Bioplastik. Dental Tribune Online sprach mit einem der Mitbegründer des TIO Care Startups, Fabian Ghoshal, über die Entwicklung der TIO Zahnbürste und deren ganzheitlichem Ansatz für eine nachhaltige Zahnpflege.

Dental Tribune Online: Sie und Ihr Partner Benjamin Beck sind Industrie- und Produktdesigner. Wie ist ihr persönlicher Bezug zum Thema Mundhygiene und was hat Sie dazu bewogen, ihre Ideen von Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein gerade in Form einer Zahnbürste zu realisieren?
Fabian Ghoshal: Ich und mein Partner Benjamin haben uns während unseres Studiums kennengelernt und angefreundet. Wir studierten beide Produktgestaltung an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch-Gmünd. Ich habe danach noch einen Master in München absolviert und bin dabei in Kontakt mit einem Start-up gekommen, das aus den Blättern einer indischen Pflanze nachhaltige Verpackungen und Einweggeschirr hergestellt hat. Aufgrund bestimmter Hygienevorschriften haben sie dann allerdings noch Biokunststoff hinzugefügt. Auf diese Weise habe ich mich erstmals mit diesem nachhaltigen Werkstoff auseinandergesetzt und mir zunehmend Gedanken über nachhaltige Produkte gemacht. Mein Partner Benjamin hatte währenddessen für verschiedene Agenturen im Bereich Design und Branding gearbeitet und im Rahmen dessen unter anderem auch Zahnbürsten mit entworfen.

In einem gemeinsamen Urlaub kamen wir dann auf die Idee ein eigenes Projekt zu starten, da wir beide mit unserem Job nicht wirklich zufrieden waren und Produkte entwickeln wollten, bei denen es nicht nur um ein schickes Design und den größtmöglichen Profit, sondern auch um Nachhaltigkeit geht. So entstand die Idee, Zahnbürsten herzustellen – einfache, alltägliche Produkte, die in ihrer Produktion allerdings recht aufwändig sind und zudem meist nicht im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit gestaltet werden.

Umweltbewusster, nachhaltiger Konsum ist ein Trend, der sich in den letzten Jahren immer stärker ausgeprägt hat und der nach und nach ein gesellschaftliches Umdenken einläutet. Weshalb ist es auch im Bereich der Zahnpflege wichtig, verstärkt auf Nachhaltigkeit zu setzen?
Die Zahnbürste ist ein Alltagsprodukt, zu dem jeder einen Bezug hat und dem doch keine wirkliche Beachtung geschenkt wird. Was die meisten nicht sehen, ist die riesige Menge an Müll, die durch Zahnbürsten und ihr Verpackungsmaterial jährlich produziert wird und die immens zur Verschmutzung der Umwelt beiträgt. Gleichzeitig ist die Produktion einer Zahnbürste wie bereits erwähnt ein recht aufwändiger Prozess, betrachtet man, dass diese nur für zwei bis drei Monate benutzt wird und dann schon wieder in der Tonne landet – ohne dass sie recycelt werden könnte. Die Lebenszeit einer Zahnbürste ist also überaus gering. Deshalb bietet sich gerade hier eine sehr gute Anwendungsmöglichkeit für Biokunststoffe, denn auch diese sind in ihrer Haltbarkeit begrenzt und zudem meist zu 100 Prozent kompostierbar.

Wie unterscheidet sich die TIO Zahnbürste von anderen, massenproduzierten Zahnbürsten?
Hierbei spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Ein erster Faktor ist der Einsatz von Biokunststoff basierend auf nachwachsenden Rohstoffen, das heißt zum Beispiel auf Basis von Zuckerrohr oder Bioethylen. Wir haben mit einem Biokunststoff einen erfolgreichen Materialtest absolviert und sind gegenwärtig dabei, diesen noch weiterzuentwickeln, um noch nachhaltigere Werkstoffe zu erhalten und zunehmend auch auf regionale Rohstoffe setzen zu können, wie zum Beispiel Hanf und Flachs. In diesem Zusammenhang arbeiten wir aktuell mit einer deutschen Firma namens TECNARO zusammen, die ein innovatives nachhaltiges Material namens ARBOFORM herstellen, eine Art flüssiges Holz.

Es war uns allerdings nicht genug, die Nachhaltigkeit unserer Zahnbürste nur an der Verwendung von Biokunststoff festzumachen. Wir wollten zudem auch auf weitere Aspekte aufmerksam machen, wie vor allen Dingen die große Menge an Müll, die durch Zahnbürsten und deren regelmäßigen Wechsel entsteht. Deshalb besitzt unsere Zahnbürste außerdem einen wechselbaren Bürstenkopf. Durch den Wechselkopf und die damit verbundene Wiederverwendung des Stiels ergibt sich eine Material- und Müllersparnis von etwa zwei Dritteln. Diese Idee ist nicht neu, hat bei Handzahnbürsten jedoch nie eine wirklich große Marktakzeptanz gefunden. Um den hygienischen Wechsel und die hygienische Verwendung der Zahnbürste zu gewährleisten, werden alle Bereiche, die mit dem Mund in Kontakt kommen, ausgetauscht – der Kopf und der Hals der Bürste.

Sehr viel Müll fällt jedoch vor allem auch durch die Verpackung einer Zahnbürste an. Unsere Idee war deshalb, ausschließlich den Kopf und Hals der Zahnbürste zu verpacken, da nur dieser der Hygienebereich ist. Diese minimale Verpackung mag etwas provokativ sein; wir allerdings sehen es als Chance, einen Denkanstoß zu liefern, der die Menschen dazu bringt die umfangreiche Verpackung von Zahnbürsten in Frage zu stellen. Die Umweltfreundlichkeit dieses Gestaltungsansatzes wird schon beim ersten Blick ins Regal offensichtlich. Die Verpackung und das Produkt selbst kommunizieren ihre Nachhaltigkeit.

Ein letzter Faktor, der nicht zu vernachlässigen ist, ist die Zahnpflege. Denn zuallererst wird eine Zahnbürste gekauft, um zur Mundpflege beizutragen. Bei unserer Recherche haben wir festgestellt, dass es bereits mehrere Zahnbürsten gibt, die einen nachhaltigen Ansatz verfolgen – zum Beispiel Bambuszahnbürsten oder Holzzahnbürsten. Wir denken allerdings nicht, dass diese den Hygienevorstellungen der breiten Masse entsprechen. Die Verwendung von Holz oder auch von hohlen Schweineborsten, führt zur verstärkten Ansammlung von Bakterien. Anders als bei TIO sind die Borsten dieser Zahnbürsten zudem meist nicht abgerundet, sodass das Zahnfleisch verletzt werden kann. Uns war es wichtig, eine Zahnbürste zu entwickeln, die eine optimale Zahnpflege gewährleistet und erst im nächsten Schritt auch nachhaltig ist. Diese Kombination von Nachhaltigkeit und Zahnpflege gab es so bisher nicht am Markt.

embedImagecenter("Imagecenter_1_1807",1807, "large");

Im Februar 2014 haben Sie das TIO Projekt ins Leben gerufen. Welche Entwicklung hat Ihre Zahnbürste seitdem von der Idee bis hin zum fertigen Prototypen vollzogen und welche Unterstützer hatten Sie auf dem Weg?
Die Idee für TIO ist bereits 2012 entstanden und lag dann erst einmal für einige Zeit auf Eis. Als Benjamin und ich dann etwa zur gleichen Zeit unsere Arbeitsstellen gekündigt hatten, dachten wir es wäre der perfekte Zeitpunkt gemeinsam ein Projekt zu starten. Wir haben dann zunächst damit begonnen zum Thema Zahnbürsten und Nachhaltigkeit zu recherchieren und auf Basis dessen Ideen zu entwickeln und Konzepte zu erarbeiten. Bei unserer Recherche sind wir auf Volker Dreher gestoßen, der in der Zahnbürstenindustrie tätig war und bereits seit einiger Zeit ebenfalls zu Biokunststoffen forschte. Wir haben ihn daraufhin kontaktiert und er war so begeistert von unserem nachhaltigen Ansatz, dass er begann, uns als Partner und Berater zu unterstützen. Durch ihn wurde es uns ermöglicht, bei einem der größten deutschen Zahnbürstenhersteller Materialtests mit unserem Biokunststoff zu machen, um festzustellen ob dieser Werkstoff auch den Anforderungen des Produkts gerecht wird. Nachdem der Werkstoff diese Tests allesamt bestanden hatte, haben wir unsere ersten Prototypen 3-D-gedruckt und in Belgien beborsten lassen.

Daraufhin haben wir unser Produkt immer weiter verfeinert und darüber nachgedacht, wie die Shipping-Verpackung aussehen könnte. Um unseren nachhaltigen Ansatz auch hier weiter zu verfolgen, haben wir mit Forschern der TU Dresden kooperiert, die bereits seit 2005 an tiefgezogenen Faserstoffen forschen, welche zu 100 Prozent kompostierbar sind. Mit ihnen gemeinsam haben wir eine nachhaltige Verpackung für TIO entwickelt. Auch die Borsten, die wir verwenden sind zu 100 Prozent biobasiert.

Als Produktionspartner konnten wir das kunststoffverarbeitende Unternehmen GEK in Oelsnitz gewinnen, für das unser Partner Herr Dreher aktuell tätig ist. Die GEK stellt die Spritzgussteile zur Herstellung der TIO Zahnbürste für uns her. Auch hier setzen wir auf Nachhaltigkeit und Umweltschonung. Denn unserer Meinung nach werden Zahnbürsten heutzutage nur noch gestaltet, um sie gegenüber der Konkurrenz zu differenzieren. Es kommen unterschiedlichste Farben und Materialien zum Einsatz und das ist sehr aufwendig in der Produktion. So finden sich teils vier verschiedene Materialien in einer einzigen Zahnbürste, die deshalb nicht recycelt werden kann. All das geschieht nur, um in dem Moment, in dem der Kunde vor dem Regal steht, seine Kaufentscheidung zu beeinflussen. Im Gegensatz dazu benötigen wir für die TIO Zahnbürste nur zwei verschiedene Komponenten für den Spritzguss – eine für den Griff und eine für den Hals – und zudem ist unser Material komplett recycelbar.

Die Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts war für uns am wichtigsten – von der Bürste, über die Borsten und die Verpackung, bis hin zum Herstellungsprozess selbst. Während wir unser Produkt entwickelten, trafen wir viele Gleichgesinnte, die uns dabei geholfen haben, unsere Ideen zu realisieren und TIO auf den Markt zu bringen. Zum Beispiel haben wir seit Kurzem eine Kooperation mit DENTTABS, einem deutschen Hersteller für nachhaltige Zahnreinigungstabletten, der sein Produkt gemeinsam mit unserer Zahnbürste vertreiben möchte.

Vor kurzem haben Sie eine Kampagne auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter begonnen, um die Produktion und den weltweiten Vertrieb von TIO zu ermöglichen. Was können Menschen tun, um Sie bei der Realisierung Ihrer Idee zu unterstützen?
Sofern den Leuten unser Projekt gefällt, können sie über Kickstarter unterschiedliche Varianten von TIO vorbestellen. Bei unserem Early Bird Starter Kit zum Beispiel bekommt man eine Zahnbürste, 2 Wechselköpfe und unseren Cleaning Guide zu einem günstigeren Preis, als Belohnung dafür, dass derjenige an uns glaubt und uns schon jetzt unterstützt. Daneben bieten wir auch Retailer Packs mit 24 Zahnbürsten an, da wir hoffen auch mit weiteren potenziellen Vertriebspartnern in Kontakt zu kommen – sowohl für den Online-Versandhandel als auch zum Beispiel für Bio-Supermärkte. Ist unsere Kampagne erfolgreich, werden die vorbestellten Zahnbürsten im Oktober ausgeliefert und Wechselköpfe können dann über unseren eigenen Online-Shop nachbestellt werden.

Welche zukünftigen Pläne haben Sie für das Projekt und sind noch weitere nachhaltige Produkte geplant?
Neben der Zahnbürste sehen wir auch bei vielen anderen Produkten Optimierungsbedarf im Hinblick auf deren Nachhaltigkeit – nicht nur im Bereich der Zahnpflege. Allerdings bieten sich auch in diesem Produktsegment noch viele weitere Möglichkeiten für eine nachhaltige Umgestaltung, wie zum Beispiel bei Interdentalbürsten, Zahnpasta, oder auch Elektrozahnbürsten. Es gibt noch diverse Ideen und Produkte, die wir hier für möglich erachten und die man weiter ausbauen könnte, sollten unser Projekt und die Crowdfunding-Kampagne Erfolg haben. Wir würden uns freuen, wenn unsere Idee einer nachhaltigen Zahnbürste ein positives Feedback erhält. Für uns wäre das ein gewisser Proof of Concept, der uns zeigt, dass es sinnvoll ist, sich als Gestalter für nachhaltige Produkte einzusetzen; dass die Aufgabe eines Designers darüber hinausgeht, schöne Sachen zu gestalten, damit Menschen sie kaufen. Es würde uns zeigen, dass es sich lohnt, sich für einen ganzheitlichen und nachhaltigen Ansatz einzusetzen.

Vielen Dank für das Interview.

Für weitere Informationen zum TIO Projekt und um die Crowdfunding-Kampagne zu unterstützen, besuchen Sie: https://www.kickstarter.com/projects/tio/tio-save-the-world-twice-a-day

To post a reply please login or register
advertisement
advertisement