ROSTOCK - Für Patienten mit schweren Tumor-Erkrankungen im Kiefer oder nach Verkehrsunfällen ist Hoffnung in Sicht. Forscher entwickeln derzeit ein Knochenersatzmaterial, das in den Kiefer eingesetzt werden kann.
Für Patienten mit schweren Tumor-Erkrankungen im Kiefer oder nach Verkehrsunfällen ist Hoffnung in Sicht. „Bislang werden große Defekte beispielsweise mit körpereigenem Knochen, der aus dem Wadenbein entnommen und in den Kieferknochen verpflanzt wurde, versorgt“, sagt Dr. Anika Jonitz-Heincke vom Forschungslabor für Biomechanik und Implantat-Technologie (FORBIOMIT) der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Rostock. „Diese Behandlungsansätze sind jedoch nicht immer zufriedenstellend und mit Risiken verbunden“, unterstreicht die studierte Biologin, die die Arbeitsgruppe Geweberegeneration im FORBIOMIT leitet. Unter der Koordination der Mund-, Kiefer-und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Schleswig-Holsteins in Kiel forschen die Rostocker Experten gemeinsam mit dem Fraunhofer IKTS Dresden sowie dem ZESBO in Leipzig an einem geeigneten Knochenersatzmaterial, das in den Kiefer eingesetzt werden kann. Dieses Forschungsprojekt, das im April 2020 gestartet ist, wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt.
„Unser Ansatz ist es, passgenaue, mechanisch stabile Gesamtstrukturen für den Kieferknochen zu entwickeln“. Das sei nur durch die gemeinsame Arbeit aller vier Partner, die am Forschungsprojekt beteiligt sind, möglich, betont Jonitz-Heincke. Für das Verfahren wird zunächst der Knochendefekt durch eine dreidimensionale Bildgebung erfasst und analysiert. Mit Hilfe von virtueller OP-Simulation wird ein für den jeweiligen Defekt passgenaues Implantatgerüst, ein sogenannter Scaffold entwickelt, der anschließend im 3D-Drucker aus zwei Werkstoffen gefertigt wird - einer lasttragenden Gitterstruktur und einer formgebenden Calciumphosphat-Keramik. Der keramische Werkstoff wird mit Wachstumsfaktoren, so genannten Bone Morphogenetic Proteinen, funktionalisiert, um den Regenerationsvorgang des Knochens anzuregen bzw. zu beschleunigen. Im Körper wird schließlich die Keramik nach und nach abgebaut und durch körpereigenes Knochengewebe ersetzt, das mit den bleibenden Komponenten des Scaffolds, der innenliegenden lasttragenden Struktur, verwächst.
Was sich so einfach anhört, stellt große Herausforderungen an die Arbeit der Wissenschaftler dar. Professor Rainer Bader, der Leiter des Rostocker Forschungslabors FORBIOMIT sagt dazu: „Wenn neue Implantatmaterialien und -konzepte entwickelt werden, müssen vor ihrem klinischen Einsatz zwingend ihre biologischen Wechselwirkungen mit dem umliegenden Gewebe untersucht werden. Zudem ist die biomechanische Eignung derart komplexer Implantatstrukturen im Rahmen der präklinischen Testung sicherzustellen“.
Dr. Dr. Hendrik Naujokat, Oberarzt an der Kieler Mund-, Kiefer-und Gesichts-Chirurgie, erklärt: „Das Ziel des jetzigen Forschungsvorhabens ist es, eine Knochenregeneration zu erreichen, die langfristig bestehen bleibt und der echten Physiologie des Knochens nahe kommt. Wir wollen damit den Patienten eine dauerhafte Regeneration des defekten Knochens ermöglichen.“ Im Rahmen des geförderten BMBF VIP+ Projektes HybridBone sollen Knochenersatzmaterialien technisch so weiterentwickelt werden, dass die Kraftverteilung im jeweiligen Knochenlager berücksichtigt und der Biomechanik des Kiefers mehr Rechnung getragen werde. Kau- und Muskelkräfte spielen eine große Rolle bei den immerwährenden Auf- und Abbauvorgängen von Knochengewebe, so dass die Nachahmung der natürlichen Knochenarchitektur eine Voraussetzung für die Langzeitstabilität der Implantatgerüste ist.
Quelle: Universitätsmedizin Rostock
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