BERLIN - Mit einem eindrucksvoll ambitionierten Programm ihrer Frühjahrstagung am 12. und 13. März 2010 in Berlin bot die Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGK) eine aktuelle Status-Analyse der Gruppenprophylaxe in Deutschland – vorgelegt von Standespolitik, Wissenschaft und Praxis und beispielhaft dargestellt an der Arbeit der Landesarbeitsgemeinschaft Berlin zur Verhütung von Zahnerkrankungen (LAG Berlin).
„Mit dieser Tagung wollen wir die Gruppenprophylaxe mit der kinderzahnärztlichen Praxis besser verknüpfen“, sagte DGK-Präsident Prof. Dr. Christian Hirsch bei der Begrüßung der Teilnehmer im vollbesetzten Haus der Kaiserin-Friedrich-Stiftung, „und wir wollen die Personen zusammenbringen, die – jeder in seinem Bereich – einen wichtigen Baustein in der Gesamtaufgabe ‚Kindergesundheit’ leisten. Zudem ist es wichtig, sich mit dem wissenschaftlichen Hintergrund von Gruppenprophylaxe zu beschäftigen. Hier ist sicher noch Forschungsbedarf.“
Eröffnet wurde die Tagung mit einem Grußwort von Dr. Wolfgang Schmiedel, Präsident der Zahnärztekammer Berlin, der explizit für die Auswahl des eher selten auf der Tagesordnung einer wissenschaftlichen Gesellschaft stehenden Themas dankte – und für die Wahl des Tagungsortes Berlin sowie des Fokus auf die Arbeit der hier „hochengagiert tätigen LAG“. Die Berliner Kammer habe ihrerseits in den zurückliegenden Jahren enorm viel für die Kinderzahngesundheit getan, unter anderem sei vor einem halben Jahr ein gänzlich neues Konzept eines Kinderzahnpasses realisiert worden.
Einheitliche Signale – und die Pflicht des Staates
Für die Standespolitik begrüßte Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, die Teilnehmer und zeigte sich erfreut, dass bei dieser Tagung das Miteinander aller Beteiligten in der Gruppenprophylaxe im Zentrum stehe. In seinem Beitrag zur „Zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe in Deutschland“ skizzierte er die gesetzliche und strukturelle Situation der insgesamt 17 Landesarbeitsgemeinschaften vor Ort und auch deren Vielfalt in der Realisierung des Auftrags gemäß § 21 SGB V. Beispiele dazu lieferten auch Dr. Herbert Michel (Vorsitzender der Bayerischen LAGZ) und Dr. Gudrun Rojas (ZÄD Brandenburg a. d. Havel). Die Aufgaben der Gruppenprophylaxe, so Dr. Oesterreich, veränderten sich mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung – so sind risikogruppenorientierte Prophylaxestrategien zukünftig ein Schwerpunkt. Dr. Oesterreich appellierte an Wissenschaft und Berufsstand, in der Aufklärung der Eltern keine widersprüchlichen Signale zu setzen wie beispielhaft zur Frage, wann der beste Zeitpunkt für den ersten Besuch beim Zahnarzt ist. Bei allem Engagement des Berufsstandes gehe es aber auch um Verhältnisprävention, und es dürfe nicht vergessen werden, die staatliche Verantwortung für die Mundgesundheitsprävention einzufordern: „Der Abbau des Öffentlichen Gesundheitsdienstes beispielsweise ist kein Weg, den die Bundeszahnärztekammer kritiklos hinnehmen wird!“
Wissenschaft: Noch viel zu tun
Die wissenschaftlichen Fragestellungen beantworteten Prof. Dr. Klaus Pieper, Marburg und PD Dr. Hendrik Meyer-Lückel, Kiel. Unter der Überschrift „Gruppenprophylaxe mit oder ohne Fluoridierung?“ stellte Professor Pieper die Ergebnisse einer großen Vergleichsstudie in Marburg und Osnabrück an Brennpunktschulen vor. Bei der Evaluation des Effektes der Fluoridierung müsse dieser ganz explizit mit Ja beantwortet werden – die Mundgesundheitswerte der Kinder mit Fluoridierung lagen der Studie zufolge bei rund 50 % über denen der Vergleichsgruppe. Sein Resümee: „Wir werden hier mehr tun müssen in der Zukunft hinsichtlich der Verhaltensänderungen in Familien mit Mundgesundheitsrisiko-Potential.“ Wie schwierig eine wissenschaftliche Bewertung der Gruppenprophylaxe ist, machte PD Dr. Meyer-Lückel deutlich: „Die Wirkungszusammenhänge sind sehr komplex und erschweren die Beurteilung einzelner Faktoren hinsichtlich kausaler Zusammenhänge.“ Generell müsse Mundgesundheitsförderung unterschieden werden in verhaltensmodifizierte und medikale Komponenten. Seiner Einschätzung nach sei es der effizienteste Weg, wenn „beaufsichtigtes konsequentes Zähneputzen durch die Lehrer“ erfolge – spezielle Strategien für Hochrisikogruppen seien zwar effektiv, hierzu gebe es auch weltweit „gewisse wissenschaftliche Evidenz“, aber eben auch teuer: „Im Hinblick auf Verbreitung und Bedeutung ist die Gruppenprophylaxe noch sehr wenig beforscht.“
Gruppenprophylaxe als Teil des Gesundheitssystems
LAG-Geschäftsführer Rainer Grahlen, der mit Prof. Hirsch das vielfältige Programm entwickelt hatte, stellte dar, wie die LAG Berlin angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen wie Überalterung der Gesellschaft und Verknappung der Mittel der GKV Kinder und Jugendliche auf ein Leben in (mund-)gesundheitlicher Teilhabe vorbereitet. Eine Aufgabe, die mit einer Reihe medizin-ethischer Fragen wie Versorgungsgerechtigkeit, Partizipation und Patientenorientierung zusammenhängt, die sich der Zahnmedizin und somit auch der Gruppenprophylaxe stellen. Rainer Grahlen: „Einerseits erfolgt dies durch Verhältnisprävention in Form des bedarfsorientierten LAG-Konzeptes (Chancengleichheit durch risikogruppenorientierte Ressourcenverteilung). Andererseits durch – verhaltenspräventive – Mundgesundheitserziehung mit dem Ziel der Eigenverantwortung.“ Er machte deutlich, dass in der Gruppenprophylaxe der "mündige Patient" geschaffen werden kann, den sich laut aktueller IDZ-Studie (März 2010) 79 % der deutschen Zahnärzte wünschen. Was LAG-Gesundheitserziehung beinhaltet, stellte Sybille van Os-Fingberg praktisch vor: Lernen mit allen Sinnen, Empowerment und immer wieder Eigenverantwortung. Sie ließ die Zuhörer – wie die Kinder im LAG-Unterricht - in einer "Verhüllungsaktion" in die Rolle von Zähnen schlüpfen, die mit Tüchern ("Speiseresten") behangen waren und einen Bakterienangriff erlebten und überlebten. Nachhaltig eindrucksvoll berichteten ein Schulleiter, eine Kitaleiterin und der Rektor einer Sonderschule darüber, was die LAG-Arbeit in ihrer Einrichtung leistet und wie positiv dies bei den Kindern wirkt.
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