WITTEN / HERDECKE - Die Hygiene-Richtlinien des Robert-Koch-Instituts geben für die Reinigung der Patienten-Serviettenhalter keine eindeutigen Vorgaben. Die Folge zeigt nun eine aktuelle Studie der Universität Witten/Herdecke: Die meisten Serviettenketten sind verkeimt.
Wir alle kennen sie: Die kleinen Halter, mit deren Hilfe uns bei jedem Zahnarztbesuch das „Lätzchen“ umgelegt wird, das unsere Kleidung vor Verunreinigung schützen soll. Mal aus Metall, mal aus Kunststoff gefertigt, lautet ihre offizielle Bezeichnung „Patienten-Serviettenhalter“. Die Hygiene-Richtlinien (1) des Robert-Koch-Instituts (RKI) geben für die Reinigung dieser Halter keine eindeutigen Vorgaben. Die Folge zeigt nun eine aktuelle Studie der Universität Witten/Herdecke: Die meisten Serviettenketten sind verkeimt.
Auf 70% der Halter Bakterien und Pilze gefunden
Eine aktuelle Studie (2) der Universität Witten/Herdecke hat die Anzahl und Art der Keime, die sich auf den Patienten-Serviettenhaltern befinden, genauer unter die Lupe genommen. Insgesamt 30 benutzte Patienten-Serviettenhalter aus Metall oder Kunststoff wurden mikrobiologisch untersucht. Die Ergebnisse machen deutlich: Die 30 Halter wurden sehr unterschiedlich intensiv gereinigt – eine Keimbelastung ließ sich jedoch fast immer feststellen.
„Die Analyse der Keimbelastung zeigt, dass 70% der Halter mit Keimen verunreinigt waren: Staphylokokken und Streptokokken stellten dabei die häufigsten Mikroorganismenformen dar. Außerdem gefunden wurden auf einigen Ketten verschiedene Stäbchenarten, Pseudomonaden – beides Bakterienarten –, Pilze sowie weitere Kokkenarten“, erläutert der Leiter der Studie, Prof. Dr. Stefan Zimmer, von der Universität Witten/Herdecke. „Es handelte sich zwar durchweg um nicht pathogene Keime, aber im Prinzip sieht man, dass über eine Serviettenkette eine Keimübertragung stattfinden kann“, so Zimmer.
Bereits in anderen Untersuchungen zur Keimbelastung von Patienten-Serviettenhaltern war die Gesamtmenge der nachgewiesenen Mikroorganismen ähnlich hoch wie oder höher als die Keimbelastung auf dem Fußboden der Waschräume eines Flughafens (3).
Risiko einer Kreuzkontamination
Trotz vorheriger Desinfektion finden sich auf Patienten-Serviettenhaltern noch Keime, wie die Studie der Universität Witten/Herdecke belegt. Die hauptsächlich gefundenen Staphylokokken und Streptokokken kommen überall in unserem Umfeld vor und sind bei einem gesunden Menschen in geringer Konzentration unbedenklich. Erstere finden sich auf Haut und Schleimhäuten des Menschen, Streptokokken sind in den Atemwegen, der Mundhöhle oder auf der Haut des Menschen vorhanden (4). Zu erwähnen ist jedoch, dass beide Kokken-Arten auch Infektionen verursachen können: Auf das Konto von Staphylokokken gehen z. B. Wundinfektionen, Furunkel und Nahrungsmittelintoxikationen (5), während Streptokokken verantwortlich sind für Infektionskrankheiten wie z. B. Scharlach, Herzinnenhautentzündung und Lungenentzündung (6). Auch die nachgewiesenen Pilzarten können körperliche Reaktionen wie Allergien, Fieber oder Reizerscheinungen der Atemwege auslösen, wenn sie in erhöhter Konzentration auftreten (7). Darüber hinaus können einige Vertreter der Mikrokokken bei abwehrgeschwächten Personen und im Zusammenhang mit implantierten Fremdkörpern Infektionen hervorrufen(8).
Geht man jedoch davon aus, dass es sich bei der beim Zahnarzt behandelten Person um einen Träger pathogener (= krankmachender) Keime handelt, kann das Risiko einer Kreuzkontamination bestehen. Auch wenn im Rahmen der aktuellen Untersuchung keine pathogenen Keime gefunden wurden, ist zu bedenken, dass die Universität Witten/Herdecke lediglich 30 Halter aus einer Region evaluiert hat. Es ist daher anzunehmen, dass bei einer größer und breiter angelegten Untersuchung von benutzten Patienten-Serviettenhaltern auch der Nachweis von pathogenen Mikroorganismen erfolgt.
Bereits 2010 wurde in den USA von der „UNC at Chapel Hill School of Dentistry“ eine vergleichbare Studie wie die der Universität Witten/Herdecke durchgeführt.(9) Bei 50 untersuchten Haltern ließen sich auf einem E.Coli-Bakterien nachweisen – diese können bekanntermaßen ernsthafte Erkrankungen hervorrufen.
Wie kann es generell zu einer solchen keimbelastung kommen?
Keime können auf verschiedenen Wegen auf die Patienten-Serviettenhalter gelangt sein:
- lang andauernder Kontakt des Halters mit dem Nacken des Patienten, wobei die normale bakterielle Flora der Haut berührt wurde
- der Halter war während der Behandlung Mikroorganismen-haltigen Aerosolen und Spritzern ausgesetzt
- Berührung der Halter mit während der Behandlung kontaminierten Handschuhen (10)
Ordnungsgemäße Wiederaufbereitung unklar
Grundsätzlich werden in den Hygiene-Richtlinien des RKI Medizinprodukte, die lediglich in Kontakt mit intakter Haut kommen, als „unkritisch“ klassifiziert und bedürfen somit nur einer Reinigung und Desinfektion. Unklar ist, ob Patienten-Serviettenhalter überhaupt unter die Kategorie Medizinprodukte fallen. Laut §3 des Medizinproduktegesetzes zählen Patienten-Serviettenhalter eigentlich nicht zu Medizinprodukten.
Für Zusatzgeräte ohne Austritt von Luft, Flüssigkeit oder Partikeln empfiehlt die Richtlinie Schutzhüllen bzw. Barrieren zur Verringerung der Kontamination (11). Schutzhüllen für Patienten-Serviettenhalter sind jedoch nicht praktikabel (12). Da die Patienten-Serviettenhalter aufgrund ihrer Machart und Beschaffenheit schwierig von Blut, Speichel etc. zu reinigen und zu desinfizieren sind, kann die Frage, wie eine ordnungsgemäße Wiederaufbereitung gemäß den RKI-Richtlinien auszusehen hat, nicht eindeutig beantwortet werden. Das ist offenbar der Grund dafür, dass die Reinigung der Halter in deutschen Zahnarztpraxen in sehr unterschiedlicher Form und manchmal auch gar nicht erfolgt.
Vor dem Hintergrund der möglichen Gefahren, die von Keimen auf Patienten-Serviettenhaltern ausgehen, ist die gängige Praxis der Reinigung solcher Utensilien nicht akzeptabel. Auch wenn bislang keine bekannten Beweise für schwerwiegende Infektionen durch Patienten-Serviettenhalter vorliegen, muss hier ein Umdenken stattfinden, so dass Patienten beim jährlichen Zahnarztbesuch nicht länger die „Keim-Kette“ um den Hals gelegt wird.
1 Infektionsprävention in der Zahnheilkunde – Anforderungen an die Hygiene. Mitteilung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert-Koch-Institut. Gesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz 2006; 49:375-394; DOI 10.1007/s00103-005-1219-y. © Springer Medizin Verlag
2 Studienreport Universität Witten-Herdecke: Mikrobiologische Belastungen von Serviettenketten, Februar 2012
3 Infection Control Today. Dental bib chains pose cross-contamination threat. June 14, 2011
4 Studienreport Universität Witten-Herdecke: Mikrobiologische Belastungen von Serviettenketten, Februar 2012
5 http://www.medmikro.ruhr-uni-bochum.de/Vorlesung/Staph/staph01.htm
6 http://medikamente.onmeda.de/Anwendungsgebiet/Infektionen+durch+Streptokokken.html
7 Studienreport Universität Witten-Herdecke: Mikrobiologische Belastungen von Serviettenketten, Februar 2012
8 http://members.inode.at/593070/patho/15_haut/bakterielle.htm
9 UNC School of Dentistry. Bib chain contamination study, 2010
10 Molinari J.A.: Microbial contamination of patient napkin holders, The Dental Advisor, 2010; 29
11 Infektionsprävention in der Zahnheilkunde – Anforderungen an die Hygiene. Mitteilung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert-Koch-Institut. Gesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz 2006; 49:379; DOI 10.1007/s00103-005-1219-y. © Springer Medizin Verlag
12 Studienreport Universität Witten-Herdecke: Mikrobiologische Belastungen von Serviettenketten, Februar 2012
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