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„Grundversorgung“: Berliner Zahnärztetag setzt Zeichen

Grußworte von Dr. Wolfgang Schmiedel (li.) und Professor Dr. Michael Noack auf dem Berliner Zahnärztetag (Fotos: Berliner Zahnärztekammer)
Zahnärztekammer Berlin

Zahnärztekammer Berlin

Fr. 12. Februar 2010

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„Das Tagungsthema und diese eindrucksvolle Teilnehmerzahl sind eine klare und eindeutige Rückmeldung an die Industrie, die oft denkt, Zahnärzte wollten nur ‚Ausgeflipptes’: Sie wird realisieren, dass ‚Grundversorgung’ bei den Zahnärzten gefragt ist“, sagte Professor Dr. Michael Noack, einer der beiden wissenschaftlichen Leiter des 24. Berliner Zahnärztetages im Rahmen der Kongress-Eröffnung am 15. Januar 2010.

Dies sei auch ein Signal an die Hochschulen, sich mehr den qualitativen Lösungen bei Minimalanforderung in der Zahnmedizin zu stellen, so Noack.

In der Tat war die Eröffnungsveranstaltung in dem großen Saal des Estrel Convention Centers überfüllt, Stühle wurden hinzugestellt. Über 1500 Teilnehmer, zum weitaus größten Teil Zahnärztinnen und Zahnärzte, wurden letztlich notiert – eine enorme Unterstützung für ein Thema, das manchem an der Vorbereitung Beteiligten hinsichtlich seiner Attraktivität zunächst etwas Sorge bereitet hatte. Die Kongressbesucher nahmen letztlich ein vielfältiges Sortiment aus Themen rund um die Zahnmedizin, das Praxismanagement und die Zukunftsaussichten mit zurück in die Praxis. In seinem Grußwort zur Eröffnung des Zahnärztetages, der sich einer eindrucksvollen Zahl hochrangiger Repräsentanten des Berufsstandes auf Bundes- und Landesebene erfreuen konnte, sagte Dr. Wolfgang Schmiedel, Präsident der Zahnärztekammer Berlin: „Nach vielen Jahren spezifischer, bisweilen hochspezifischer Fortbildung erfüllen wir in diesem Jahr den Wunsch vieler Kolleginnen und Kollegen nach dem, was unsere tägliche Arbeit, unser täglich Brot, zum überwiegenden Teil ausmacht, eben jener Grundversorgung im Praxisalltag.

Der diesjährige Zahnärztetag betont somit in erfreulicher Weise die Bedeutung des zahnärztlichen Generalisten, der gerade angesichts des von einigen Kassen forcierten Trends zur Spezialisierung für eine flächendeckende zahnmedizinische Versorgung unverzichtbar ist und bleibt.“

Starke strategische Funktion
Ausgesprochen politisch startete auch das wissenschaftliche Programm: Es gebe eine Polarisierung in der Bevölkerung hinsichtlich wirtschaftsschwächeren und eher besser situierten Gruppen, so Professor Noack, hier müsse der Berufsstand einen Weg finden, seine Kompetenz einzubringen, ohne wirtschaftliche Einbußen hinnehmen zu müssen. Die Zahnärzte als besonders stark aufgesuchte Arztgruppe hätten in der Gesellschaft eine „starke strategische Funktion, die auch politisch mehr genutzt“ werden müsse. Anders als in anderen ärztlichen Disziplinen müsse der Patient sein Leben lang zum Zahnarzt kommen – da sei es unabdingbar, dass „wir dafür ein passendes Budget zur Verfügung haben.“ Auch zum Thema Spezialisierung gab es klare Worte. Professor Noack: „Zahnärzte sind Spezialisten für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde. Ich als Kariologe bin ein Schmalspurgeneralist und habe großen Respekt für die Generalisten!“

Möglichkeiten und Grenzen im Fachlichen
In dem Kanon der vielfältigen Fachthemen von Karies bis Endodontie mit Fokus auf Möglichkeiten und Grenzen der Minimalversorgung berichtete beispielsweise Dr. Stefan Herder aus Berlin über „bedarfsorientierte Versorgung“ und entsprechende Praxiskonzepte: „Irgendwie finden wir doch fast immer eine Lösung, den Patienten finanziell entgegenzukommen.“ An eindrucksvollen Beispielen zeigte er jeweils ein „übliches Vorgehen“ und eine „finanziell co-geprägte Lösung“. In manchen Fällen seien auch Übergangslösungen als mittelfristige Versorgung möglich: „Die Innovation in der Zahnheilkunde ist groß – wir können auch einmal auf eine künftige optimierte Lösung warten.“ Wichtig sei es gerade bei finanzschwachen Patienten, eine „Situation zu schaffen, in der man mit dem Patienten emanzipiert sprechen und gemeinsam eine Lösungen finden kann.“ Zum Aspekt „Brücken“ stellte Prof. Dr. Matthias Kern aus Kiel die einflügelige Adhäsivbrücke vor („damit haben wir sehr gute Erfahrungen, besser sogar noch als mit zweiflügeligen“), er wundere sich, dass solch einfache und erfolgreiche Verfahren „nicht längst Standard sind in der Praxis“, dies liege möglicherweise an der noch fehlenden Aufnahme in die Kassen-Richtlinien. Die zuständigen Strukturen seien „etwas langsam im Vergleich zu den Fortschritten in der Zahnmedizin.“

Krisen-Radar
Mit Blick auf wirtschaftliche Bedrängnis nicht der Patienten, sondern der Praxen zeigte Dr. Ingo Kock aus Hamburg anhand eines „Krisen-Radars“ auf, dass nicht die Krise selbst das Problem sei, sondern die Vorläufer und das Erkennen sich zuspitzender Probleme. Mit vielen Beispielen, die das Auditorium spürbar beunruhigten, wies er auf aktuelle „sich zuspitzende Probleme“ hin. Am Beispiel eines Ärztebewertungsportals schilderte er das Kommunikationsverhalten der nachwachsenden jüngeren Generation und folgerte: „Sie haben das erste Rennen schon verloren, wenn Sie da nicht stehen! Sie schauen doch sicher auch bei z.B. hotel.de, wie viele Plus-Werte die Hotels an Ihrem Zielort haben.“

Bedrohung bestehender Strukturen sei auch aus der EU zu erwarten: „Europa ist längst hier – nur wir sind noch weit weg.“ In vielen Ländern gebe es bereits die Fremdbesitzmöglichkeit, diese werde über kurz oder lang auch Deutschland erreichen: „Investoren arbeiten immer in Netzwerken mit großen Synergien – dagegen kommen Sie als Einzelpraxis nicht an.“ Es sei sinnvoll, sich mit Verbündeten zusammenzuschließen und günstige Einkaufsbedingungen zu erreichen. Zu den Bedrohungen, die Praxen wahrnehmen müssten, gehöre auch die Entwicklung zu Großpraxen. Er verglich Tante Emma-Läden und Supermärkte: „Keiner hat heute ein Problem, Lebensmittel zu kaufen. Dadurch hat sich das Konsumverhalten geändert – Sie müssen sich darauf einstellen.“ Zu den Tipps, die er den Praxen mit auf den Weg gab, gehörte, ganz kleine oder ganz große Strukturen zu führen: „In der allergrößten Not bringt der Mittelweg den Tod.“ Bedauerlich sei, dass Versicherungen Abrechnungshelferinnen aus den Praxen abwerben würden: „Sie sollten den Spieß herumdrehen – werben Sie sie von der Versicherung ab, die Damen kennen die Mechanismen!“ Und mit etwas Augenzwinkern: „Machen Sie PR für ihren Kollegen – und lassen sie ihn PR für Sie machen. Bilden Sie Netzwerke. Sie glauben nicht, was das schon bewegt.“

Budget-Verwerfungen
Den Blick in die Zukunft richtete auch Dr. Jürgen Fedderwitz der KZBV mit seinem Vortrag „Kassenleistung und Praxisgewinn“: Es sei mit strukturbedingten Budget-Verwerfungen zu rechnen, da heute der Kassenwechsel häufiger erfolge als früher. Man plane mit dem zur Verfügung gestellten Budget der früheren Kasse und werde damit konfrontiert, dass die neue Kasse dieselbe Leistung zum halben Preis erwarte. Mehr Budget sei im GKV-Markt sicher nicht zu erwarten. Verabschieden solle man sich auch von der Vorstellung, mit der Praxis am Wachstumsmarkt Implantologie teilzuhaben: „Auch in Ländern mit höherer Implantatversorgung ist der Anteil nicht über 7 % gestiegen.“ Die Zukunft liege in einer Ausweitung von Festzuschuss-Konzepten, so auch in der Parodontologie: „Die ist ohne finanzielle Mitbeteiligung der Patienten nicht zu erbringen.“ Dr. Fedderwitz warnte vor Monostrukturen in der Praxis als Risiko-Konzept und vor dem Abschluss von Selektivverträgen: „Sie verzichten auf Ihnen zustehendes Honorar!“ Es gebe eine Menge Probleme, die seitens der Praxen zu beachten und zu bewältigen wären, trotzdem sei er sicher: „Sie werden das alle schaffen.“

Zum Tagungsende fragte Moderator Professor Noack, ob das Thema „Grundversorgung“ dem Auditorium gefallen habe: Großer anhaltender Beifall bejahte das.

 

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